Kapitel 3
Eine Fahrt ins Ungewisse
Am Dienstagnachmittag und am Mittwoch trainierte Nick noch einmal, um ganz sicherzugehen, bei dem Turnier seine Leistung aus der Pokémon- Liga noch übertreffen zu können. Am Mittwochabend packte Nick alles in seinen Rucksack, was er bei dem Turnier brauchen könnte: seinen Pokédex, ein paar Hypertränke und Hyperheiler, sein Klapprad, für das in seinem Rucksack ein eigenes Fach vorhanden war, seine Kampfkamera, eine große Dose Pokémonfutter für alle Fälle und zu guter Letzt einen kleinen Beutel, den ihm der Besitzer der Silph Corporation einmal geschenkt hatte. Der Beutel, besser gesagt sein Inhalt, war für Nick ein Glücksbringer, und er nahm ihn immer mit, für den Fall, dass er ihn einmal brauchen würde. Zu guter Letzt ließ er im Pokémon- Center von Oliviana City das Ticket für die Fähre nach Orre hinterlegen.
Nun fiel Nick nichts mehr ein, das er vergessen haben könnte. Er legte seinen Pokécom auf den Rucksack und legte seine Klamotten für den nächsten Tag zurecht.
Nick dachte schon daran, welche seltenen und exotischen Pokémon er wohl in Orre sehen würde. Es gab viele Pokémon, die sich nur im Wüstenklima der Orre- Region wohlfühlten. Mit einem Lächeln legte Nick sich ins Bett. Morgen würde für ihn ein langer Tag werden.
Nick schlief diese Nacht besonders unruhig. Er sah sich im Traum einem schier unbesiegbaren Gegner gegenüber. All seine Pokémon waren besiegt, alle von einem einzigen riesigen schwarzen Vogel, der immer nur als undeutliche Silhouette zu sehen war. Irgendwie kam ihm diese bekannt vor... Plötzlich schoss das Pokémon auf ihn zu...
...und Nick wachte schlagartig auf.
Keuchend erhob er sich im Bett und fuhr mit seinem Ärmel über seine schweißnasse Stirn. Er sah auf seine Uhr. Sie zeigte viertel nach drei morgens.
Nick blieb noch ein paar Minuten im Bett sitzen und überlegte, was dieser Traum zu bedeuten haben könnte. Als er nach einer Weile immer noch keine Antwort fand, beschloss er, noch eine Runde zu schlafen. Schließlich durfte er morgen nicht verschlafen, sonst könnte er das Turnier auf der Insel Obscura vergessen. Wenig später war er wieder eingeschlafen.
‚,Soweit der Gewinner der Pokémon- Liga zu seinem Sieg‘‘, tönte es aus Nicks Radiowecker. ‚,Wir danken Nick noch einmal, dass er sich die Zeit für uns genommen hat.‘‘
Nick wachte auf und setzte sich auf die Bettkante. Nach seinem Alptraum hatte er eigentlich gut geschlafen. Er horchte auf die Radionachrichten.
‚,Anemonia City. Das legendäre Pokémon der Strudelinseln, Lugia, wird vermisst. Augenzeugenberichte gibt es bereits seit fast einem halben Jahr nicht mehr, und auch Professor Lind aus Neuborkia war bei seiner Suche in den Strudelinseln erfolglos. Eine Erklärung für das Verschwinden des Meeresgiganten gibt es noch nicht. Die Untersuchungen an den Strudelinseln laufen weiter.‘‘
Strudelinseln – legendäres Pokémon... Nick erinnerte sich an seinen Besuch auf den Strudelinseln, als er acht Jahre alt war. Damals musste es Lugia gewesen sein, das ihn gerettet hatte.
Nick blickte auf seine Uhr. Es war kurz nach neun. Nick rechnete damit, dass er eine halbe Stunde für den Weg nach Oliviana City brauchen würde, wenn er mit Brutalanda fliegen würde. Er beschloss, einen Zeitpuffer einzubauen und um elf Uhr aufzubrechen.
Nick zog seine Klamotten an und steckte seinen Pokécom an den Gürtel. Dann setzte er seinen Rucksack auf und ging in die Küche.
‚,Guten Morgen‘‘, sagte Nicks Mutter, als er die Treppe herunterging.
‚,Guten Morgen‘‘, gab Nick zurück.
‚,Ich habe dir ein Lunchpaket für die Schiffsfahrt zubereitet‘‘, erklärte Nicks Mutter. ‚,Die Fahrt nach Orre wird lange dauern, und du bekommst ja kein Mittagessen.‘‘
‚,Danke‘‘, bedankte Nick sich. ‚,Hast du auch eben gerade die Nachrichten gehört?‘‘
‚,Ja. Ich glaube, es ging um das Pokémon, das dich gerettet hat. Lugia hieß es, richtig?‘‘
‚,Ich glaube schon‘‘, antwortete Nick, während er sich an den Tisch setzte. ‚,Die Sache ist schon merkwürdig, oder? Normalerweise verschwinden legendäre Pokémon nicht einfach so. Naja, wie dem auch sei, ich werde jetzt erst einmal ausgiebig frühstücken.‘‘
Er nahm ein Brötchen und bestrich es mit Kuhmuh- Quark. Seine Mutter setzte sich zu ihm und begann ebenfalls zu essen.
Nach dem Frühstück ging Nick noch zu Chris und Johanna und verabschiedete sich von seinen Freunden. Er wusste nicht, wie lange er in Orre bleiben würde, deshalb sagte er seiner Mutter, dass sie Anrufe auf seinen Pokécom weiterleiten solle. Nachdem er noch sein Zimmer hergerichtet hatte, sah er auf die Uhr. Es war viertel vor elf.
Nick packte das Lunchpaket, das ihm seine Mutter zusammengestellt hatte, in seinen Rucksack, trank noch ein Glas Wasser und verabschiedete sich von seiner Mutter. Dann ging er nach draußen und flog mit seinem Brutalanda los.
Eine halbe Stunde später landete Nick auf dem Hafenplatz in Oliviana City. Er rief Brutalanda in den Pokéball zurück und ging auf das örtliche Pokémon- Center zu.
‚,Hallo und herzlich willkommen im Pokémon- Center‘‘, begrüßte ihn Schwester Joy, die hinter der Theke im Eingangsbereich saß.
‚,Hallo, mein Name ist Nick. Ich komme aus Neuborkia und habe hier ein Bootsticket hinterlegen lassen‘‘, antwortete Nick.
‚,Einen Moment bitte‘‘, sagte die Schwester und kramte in einer Schublade.
‚,Hier ist es ja‘‘, sagte sie nach einer Weile. ‚,Ein Ticket von Oliviana City in Johto nach Portaportus in Orre, richtig?‘‘, erkundigte sie sich.
‚,Genau‘‘, antwortete er, nahm das Ticket und verstaute es in seiner Jackentasche.
‚,Außerdem würde ich gerne meine Pokémon heilen lassen.‘‘ Er schob Schwester Joy seine Pokébälle zu.
‚,Selbstverständlich‘‘, bestätigte sie, winkte eine ihrer Zwillingsschwestern heran und ging mit ihrem Chaneira in einen Nebenraum. Nick setzte sich auf einen Stuhl im Wartebereich.
Ein paar Minuten später kam Schwester Joy wieder aus dem Nebenraum und gab Nick seine Pokébälle zurück. ‚,Hier, deine Pokémon sind wieder vollständig gesund‘‘, erklärte sie ihm.
‚,Beehre uns bald wieder!‘‘, rief sie ihm hinterher, als er das Gebäude verließ.
Draußen angekommen sah Nick auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes einen fahrenden Händler, der verschiedenste Sorten Pottrott- Beerensaft anbot. Nick ging zu dem Stand und gönnte sich eine Flasche des leckeren Getränks.
‚,Die Fähre nach Portaportus fährt in zehn Minuten von Dock 4!‘‘, tönte es aus den Lautsprechern. Nick ging auf den Hafen zu und lief durch die Unterführung zum Dock Nummer 4.
Guten Tag‘‘, begrüßte Nick den Kontrolleur, der am Eingang zur Fähre stand. ‚,Dies ist doch die Fähre nach Portaportus, oder?‘‘
‚,Ja, du bist hier vollkommen richtig‘‘, antwortete der Kontrolleur. ‚,Dürfte ich bitte dein Ticket sehen?‘‘
‚,Natürlich‘‘, sagte Nick und zog die Karte aus der Jackentasche. Der Kontrolleur musterte sie, dann gab er sie Nick zurück.
‚,Du hast Kabine 249. Zweites Deck, vierter Gang, fünfte Tür links‘‘, erklärte er. ‚,Gute Fahrt.‘‘
Er gab den Weg frei, und Nick ging auf das Schiff zu. Es war etwa zehn Meter hoch, etwa genauso breit und dreißig Meter lang. Trotz seiner Größe war es immer noch kleiner als die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die noch im Hafen lagen, und winzig gegen die Frachtschiffe, die zwischen den sieben bedeutenden Regionen Johto, Kanto, Hoenn, Sinnoh, Orre, Fiore und Almia sowie den Sevii Eiland pendelten.
Innen war das Schiff eher schlicht gehalten, da es nicht für tage- oder gar wochenlange Fahrten gebaut worden war, sondern nur von einer Region zur nächsten fuhr.
Nicht viele Passagiere waren an Bord. Orre war eine der weniger dicht besiedelten Regionen und wurde verhältnismäßig wenig besucht. Nick ließ seinen Blick über die Passagiere schweifen. Die Altersstruktur war sehr eindeutig. Nur ältere Trainer befanden sich unter den Passagieren. Er stach mit seinen vierzehn Jahren klar hervor.
Nick ging die Treppe hinauf und betrat das zweite Deck. Er betrat seine Kabine und sah sich um. Sie war nicht sehr groß, etwa drei mal drei Meter. In der Nische rechts stand ein bequem aussehendes Bett, geradeaus war ein Bullauge in die Wand eingelassen, und links standen drei Stühle an einem einklappbaren Holztisch. Auf dem Tisch lag ein Schlüssel, an dem ein Kärtchen mit der Nummer 249 hing. Nick nahm die Kabinenschlüssel und legte sich auf sein Bett.
Ich brauche noch ein wenig Schlaf, dachte sich Nick und schloss die Augen. Nur eine halbe Stunde.
Nick gähnte, als er wieder aus seinem Schlaf aufwachte. Wie lange habe ich wohl geschlafen? Er blickte auf seinen Pokécom. Er zeigte viertel vor vier. War wohl doch etwas länger als eine halbe Stunde, dachte Nick und lächelte. Er nahm das Faltblatt, auf dem die Fahrtzeiten der Fähren zwischen Johto und Orre eingetragen waren.
16.30 Uhr. Dann kann ich ja noch bei Tageslicht zur Insel Obscura fahren, überlegte Nick. Er nahm seinen Rucksack und ging an Deck. Am Horizont konnte er bereits die Umrisse der Hafenstadt Portaportus erkennen. Vor der Küste lag eine Insel mit einem riesigen Gebäude, das Ähnlichkeiten mit einer Burg hatte. Andere Inseln konnte Nick nicht erkennen.
Dann muss das sie Insel Obscura sein, folgerte er.
Eine halbe Stunde später lief die Fähre im Hafen ein.
Als er die Fähre verlassen hatte, steuerte er direkt auf das Touristenbüro zu.
‚,Entschuldigung, wie komme ich am besten zur Insel Obscura?‘‘, fragte Nick den Beamten am Informationsschalter.
‚,Zur Insel Obscura? Dort will nie jemand hin, deshalb haben wir den Schnellbootbetrieb dorthin eingestellt. Du kannst dir aber ein Motorboot im Hafen ausleihen. Direkt an der Anlegestelle, gar nicht zu verfehlen‘‘, antwortete der Beamte und zeigte in die Richtung des Hafens.
‚,Vielen Dank‘‘, rief Nick und lief zum Hafen zurück.
Er erkannte sofort aus der Ferne den Motorbootverleih. Es war eine kleine, aber gutaussehende Holzhütte mit einem großen Fenster an der Stirnseite. Hinter dem Fenster stand ein junger Mann, vielleicht Anfang dreißig, und verhandelte mit einem Kunden. Nick wartete, bis der Kunde gegangen war, dann stellte er sich an die Hütte.
‚,Guten Tag‘‘, sagte der junge Mann höflich.
‚,Guten Tag‘‘, gab Nick zurück. ‚,Ich würde gerne ein Motorboot mieten.‘‘
‚,Wo soll es denn hingehen?‘‘, fragte der junge Mann interessiert.
‚,Zur Insel Obscura. Dort soll ein privates Pokémon- Turnier stattfinden‘‘, antwortete Nick.
‚,Zur Insel Obscura?‘‘, erkundigte sich der junge Mann. ‚,Da wollte schon lange niemand mehr hin.‘‘
‚,Dann machen Sie sich morgen mal auf ein paar mehr Kunden gefasst‘‘, erklärte Nick lachend.
‚,In Ordnung. Kommst du bitte einmal mit?‘‘, bat der junge Mann und kam aus seiner Hütte. Er ging mit Nick zu dem Steg, an dem die Boote angekettet waren.
‚,Ich würde dir dieses Boot empfehlen‘‘, sagte er und wies auf ein offenes Motorboot mit Bildschirm. ‚,Dieses Boot hat ein Sonar, mit dem du die Riffe in der Nähe der Insel Obscura frühzeitig erkennen kannst.‘‘
‚,Gut, ich nehme es‘‘, antwortete Nick.
Er setzte sich an das Ruder und nahm die Zündschlüssel in Empfang.
‚,Die Steuerung ist eigentlich sehr einfach‘‘, erklärte der junge Mann. ‚,Hier ist das Gaspedal, das Ruder, und hier sind die Handbremse und der Richtungsschalter.‘‘
Nick sah sich die Kontrollen an, dann steckte er den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Der Elektromotor am Heck begann leise zu surren.
‚,Ich bekomme noch von dir 600 Pokédollar Pfand für das Boot‘‘, wies der junge Mann Nick an.
‚,Selbstverständlich‘‘, antwortete Nick und gab dem Mann drei Geldscheine.
‚,Gute Fahrt!‘‘, rief der Mann Nick hinterher, als er das Boot vom Steg wegmanövrierte.
Nick lenkte auf die Insel zu und beschleunigte.
Der junge Mann nahm ein Funkgerät aus der Tasche und klappte es auf.
‚,Hier CL-B. Nick ist jetzt unterwegs zur Insel. Alles läuft wie am Schnürchen‘‘, flüsterte er ins Funkgerät.
‚,Sehr gut‘‘, kam eine Stimme aus dem Gerät. ‚,Ich werde ihm einen ordentlichen Empfang bereiten.‘‘
‚,Verstanden. Ich bleibe auf meinem Posten und warte auf Ihre Nachricht. Ende‘‘, gab der junge Mann zurück.